Wie soll ich das alles bloß schaffen? Das ist ein typischer Satz von Menschen, die sich in ihrem Alltag unter Druck fühlen. Sie machen Listen und bemühen sich, doch nie reichen ihre Bemühungen aus. Es gibt immer noch etwas zu tun, etwas zu erledigen, etwas zu schaffen. Gibt es einen Ausweg aus der Selbstüberforderung? Was brauchen wir, um ein gelasseneres und freieres Leben zu führen? Darum soll es jetzt gehen.
Wie soll ich das alles bloß schaffen? Wer so spricht, fühlt sich unter Druck. Einige fahren den Turbo hoch und kämpfen mit den Widrigkeiten, um „alles zu schaffen“. Andere fühlen sich so überwältigt davon, dass sie in Starre und Passivität verfallen oder sich mit den neusten Emails ablenken. Wie soll ich das alles bloß schaffen? Atemlosigkeit und der Druck im Brustkorb sind spürbar. Der Stress, der in der Frage steckt, zeigt, dass hier an der Wurzel etwas nicht stimmt. Die Frage ist so gestellt, dass sie nur Stress erzeugen kann: „Wie soll ich das bloß alles schaffen?“ Jedes einzelne Wort enthält ein Problem. Fangen wir mit dem „soll“ an. „Soll“ suggeriert eine unumstößliche Notwendigkeit, einen Auftrag, über den nicht mehr diskutiert werden kann. Warum „soll“, warum nicht „will“ oder „kann“? Nein, es muss ein „soll“ sein! Da ist die erste Enge, die erste Bedrängnis. Dem „Soll“ folgt dann das Problem mit „Wie“. Wie soll ich das alles bloß schaffen? Es geht nicht darum, ob ich soll, ob der Anspruch wirklich gerechtfertigt ist, sondern nur noch wie ich ihm genügen kann. Da ist die nächste Enge. Gehen wir weiter. Wie soll ich das alles bloß schaffen? Hier geht es darum, alles schaffen zu sollen, nicht nur etwas, nicht nur das Wesentliche oder das Mögliche, sonders uneingeschränkt alles. Hier liegt die Gefahr einer Überforderung, denn „alles“ ist doch sehr viel. Warum will ich denn unbedingt „alles“ schaffen? Warum ist so wichtig daran? Und was bedeutet „alles“, ist „alles“ nicht ein bisschen viel? Aber wir sind noch nicht am Ende der Reise, denn es kommt da noch das Wort „schaffen“. Wie soll ich das alles bloß schaffen? Was heißt „schaffen“? Es hat eine doppelte Bedeutung. Es kann heißen: schöpferisch sein. Und es kann heißen: etwas erledigen, machen. Die Frage „Wie kann ich das alles bloß schaffen?“ ist keine Frage nach unserer Schöpferkraft, sondern spricht den Macher in uns an. Man kann zum Beispiel eine Arbeit schaffen, also erledigen. Aber kann man in diesem Sinne auch Beziehungen schaffen, Liebe schaffen, Leichtigkeit schaffen, Frieden schaffen? Nein. Denn vieles im Leben ist überhaupt nicht schaffbar. Beziehungen wollen entwickelt und gepflegt werden, Sinn will entdeckt und gelebt werden, Kooperation will erprobt und vertieft werden. Das alles kann gar nicht geschafft werden, weil wir zu einem guten Leben vieles andere über bloßes Schaffen hinaus brauchen. Das Leben ist doch sehr viel mehr als das, was es darin zu machen und zu schaffen gibt. Im Leben geht es doch sicher auch darum, etwas zu erleben, zu fühlen, zu entdecken, wahrzunehmen, zuzulassen, anzunehmen oder zu gestalten. Wie soll ich das alles bloß schaffen? Dieser Satz erzeugt also mit jedem Wort Spannung, Verengung und Druck, und wenn er nicht hinterfragt wird, treibt er uns dazu an, über unsere Grenzen zu gehen und uns im blinden Erfüllen von Normen zu verlieren. Wie soll ich das bloß alles schaffen - schließlich erzeugt dieser Satz das Gefühl des Mangels, er legt nahe, dass jetzt etwas nicht in Ordnung ist, dass das Leben erst dann, wenn alles geschafft ist, als gut und richtig empfunden werden kann. Folgen wir doch einmal dieser Spur. Wie ist es denn jetzt? Fehlt dir jetzt etwas? Wenn du tatsächlich das Gefühl hast, dass dir jetzt etwas fehlt, dann fühle es doch einfach mal. Formuliere für dein Mangelgefühl nicht gleich einen rationalen Grund. Und erzähle dir auch nicht gleich die Geschichte, dass du dieses Gefühl, dass dir etwas fehlt, loswerden müsstest. Fühle einfach, dass dir etwas fehlt. Zum Beispiel: Mir fehlt es, dass ich diese Arbeit erledigt habe. Mir fehlt es, dass es harmonisch ist zwischen uns. Mir fehlt es, dass es aufgeräumt ist. Mir fehlt es, dass dieses Problem gelöst ist. Geh erst einmal zurück zu diesem Gefühl des Mangels und vergiss die Geschichte darum herum. Wie fühlt es sich an, wenn du dieses Gefühl erst einmal bei dir ankommen lässt?. Du darfst ein Mensch sein, dem gerade etwas fehlt oder der meint, es fehle ihm etwas gut. Gut, dann bist du jemand, dem gerade etwas fehlt. Du wirst vielleicht wirklich nicht „das alles“ schaffen. Wenn du die Unmöglichkeit, alles schaffen zu sollen, akzeptierst, wird etwas von der Anspannung weichen. Und du kannst entdecken: Es gibt vielleicht etwas Einfaches und Naheliegendes, das du ja durchaus tun kannst. Etwas, das dich nicht stresst, etwas, das möglich und sinnvoll ist, das du gerne geben kannst, ohne dass es dich zerreißt. Nimm dir Zeit. Du brauchst Zeit dafür zu erspüren, was hier und jetzt möglich ist und was nicht. Ich versteh schon, da ist ganz vieles, was du noch nicht erledigt hast. Es ist mir schon klar. Aber wenn schon! Vielleicht gibt es tatsächlich gerade wenig Zeit, Energie, Motivation oder Hilfe. Wenn das so ist, kannst du es auch nicht erzwingen. Auch wenn du dich unter Druck setzt, dich antreibst, die Vorwürfe wegen deines Aufschiebens machst, wirst du doch nichts daran ändern, dass nicht alles zu schaffen ist. Doch das wird nicht akzeptiert, dagegen mobilisiert sich Widerstand. Ich muss das schaffen, es muss doch gehen, andere schaffen es doch auch. Das Selbstverständnis, das sich hier zeigt, ist das eines Menschen, der sich und sein Leben im Griff haben will, der sich optimal organisieren und funktionieren zu müssen glaubt, und der sich deswegen auch disziplinieren und regulieren muss. Denn es muss ja funktionieren, es muss ja klappen. Das Selbstverständnis des organisierten Menschen ist unserer Kultur vorherrschend. Ein Großteil unseres öffentlichen, privaten und beruflichen Lebens dreht sich darum, uns und unser Leben möglichst effizient zu organisieren, doch mit diesem allumfassenden Organisationsanspruch treiben wir dem Leben seine Schönheit aus, seine Leichtigkeit, seinen Glanz und seinen Zauber. Irgendwann merken wir dann, dass wir in diesem Zustand des getriebenen, ruhelosen, gehetzten Organisierens unsere Mitte verloren und anderen Menschen nichts mehr zu geben haben, dass wir das Vibrieren in uns und zwischen nicht mehr spüren, die Lebendigkeit, die Freude. Und dann organisieren wir auch das wieder und sagen: Ich muss es schaffen, dass ich dir mehr Qualitätszeit gebe. „Qualitätszeit“ heißt: Ich versuche das Wertvolle des Lebens zu organisieren. Das geht nicht. Wenn das Wertvolle des Lebens entdeckt werden will, muss das Organisieren losgelassen werden. Solange das Selbstverständnis des organisierten Menschen an der Macht ist, werden wir uns in uns ungenügend und wertlos fühlen und deswegen immer wieder unter Druck setzen, um unseren Wert in der Anpassung und im Funktionieren zu finden. Wir werden ein Leben der Selbstbeherrschung und der Selbstunterdrückung, ja der Selbstverleugnung führen. Der organisierte Mensch ist sich selbst entfremdet. Sein Leben ist widernatürlich und unlebendig, weil der organisierte Mensch sich selbst fortwährend außerhalb seines eigenen Lebens stellt und sich einen Plan macht, wie das Leben sein sollte, wie das Leben sein müsste und wie das Leben auf keinen Fall sein darf. Und dann geht die Energie des organisierten Menschen in dieses Sollen, Müssen, Planen, Schaffen und schließlich, weil das Leben sich dann doch nicht zwingen lässt, ins Kämpfen und auch ins Bekämpfen, denn alles, was dann nicht passt, muss ja bekämpft werden. Alles was in mir nicht passt, muss bekämpft werden, und alles was beim anderen nicht passt, muss bekämpft werden. Und so wird in der Schule der Schüler bekämpft vom Lehrer, wenn er nicht so lernt, wie er soll. Bei der Arbeit wird der Mitarbeiter von seinem Kollegen bekämpft, wenn er nicht so viel leistet, wie er soll. In der Beziehung wird der Partner bekämpft, wenn er nicht so viel gibt, wie er soll. Überall wird gekämpft. Und Grund für diesen Kampf ist: Ich will doch nur alles schaffen. Wenn alles geschafft ist, wird doch bestimmt alles gut sein. Das Selbstverständnis des organisierten Menschen führt uns in die Irre, es hat uns bereits in die Irre geführt, und zwar nicht erst seit gestern. Wir haben es tief verinnerlicht, wir geben es von Generation zu Generation weiter. Es ist ein verzerrtes Bild des Menschen von sich selbst. Der Mensch hat gelernt, sich selbst zum Objekt zu machen, sich auf eine äußere Funktion zu reduzieren und sich dem System, das er erschaffen hat, anzupassen. Die Steigerung dieser Mentalität haben wir zuletzt in der Corona-Zeit erlebt, als die ganze Gesellschaft in ein System zur Bekämpfung eines Virus transformiert wurde. Das Recht jedes Menschen, mit seinem eigenen Leben nach eigenem Ermessen umzugehen, wurde über Jahre eingeschränkt. Wir dürfen es aber nicht auf die äußeren Institutionen schieben. Denn alle Tendenzen übermäßiger Kontrolle, wie wir sie in übergriffigen Gesundheitsmaßnahmen oder digitaler Massenüberwachung beobachten können, finden wir auch in uns selbst. Weil wir innen bereit sind, uns selbst zu organisieren, erzeugen wir außen Systeme der Organisation, in denen der Mensch nur noch funktionieren soll. Wir haben uns zum Gefängniswächter unserer selbst gemacht. Wir haben uns ein Gefängnis geschaffen und wir überwachen uns, damit wir bloß nicht entkommen. Und wer sitzt in diesem Gefängnis? Das freie, lebendige, verletzliche, sich nach Beziehung, Schönheit und Sinn sehnende Wesen, das wir sind. Du musst mir nicht glauben, ich will dich nicht überzeugen. Ich habe keine Angst davor, dass du mir nicht zustimmst. Ich sage: Mach doch, was du willst. Mach doch, was DU willst, was du wirklich willst, wozu du wirklich ja sagen kannst. Und das ist etwas anderes als das, was du denkst, das du tun solltest. Von dem Gedanken an das, was du solltest, wirst du verfolgt. Von dem Gedanken an das, wozu du wirklich ja sagen kannst, wirst du getragen, wirst du gewärmt, genährt, inspiriert. Und du findest das, wozu du wirklich ja sagen kannst, wenn du wieder lernst, von dir selbst auszugehen, statt den Normen des organisierten Lebens zu folgen. Wie soll ich das alles bloß schaffen? Du darfst innehalten. Du musst es nicht schaffen. Du darfst dein Leben in die Hand nehmen und dich erneuern lassen vom Leben, in jedem Augenblick neu, du darfst lieben und geliebt werden. Du darfst Freude empfinden und du darfst warten. Du darfst auch Schmerzen haben und Krankheit. Denn du darfst auch sterben, du darfst irgendwann auch gehen. Das Leben ist kein Problem, sondern ein Geheimnis. Nimm dir Zeit zu realisieren, dass du vieles nicht weißt. Wir wissen so vieles nicht. Wir stehen dem Leben als Unwissende gegenüber, und das macht uns so große Angst, dass wir eigenmächtig das Leben nach unseren Vorstellungen definieren, um es dann organiseren und kontrollieren zu können. Die Verrückten der Welt, die nach der totalen Kontrolle des Lebens streben, werden erst dann aufhören damit, wenn Menschen aufwachen und merken, dass sie diese Verrückten auch in sich selbst haben. Wir haben sie nur deswegen da draußen, weil wir sie so stark in uns haben. Es ist unmöglich, sie da draußen zu stoppen, solange wir sie noch in uns haben. Hör auf, dich zu organiseren und organisieren zu lassen. Du darfst von dir selbst ausgehen, von deiner subjektiven Perspektive auf das Leben. Schau nach innen, schau nach außen, halte inne. Erkenne Realitäten an, akzeptiere, was du nicht ändern kannst, finde die Freiräume, die offenen Türen, die Gelegenheiten des Augenblicks, triff deine eigenen Entscheidungen. Mach deine eigenen Fehler. Statt „Wie soll ich das alles bloß schaffen?“ darfst du fragen: „Was ist jetzt? Was brauche ich, was brauchen andere? Wohin will ich meine Aufmerksamkeit, meine Kraft und meine Liebe jetzt geben?“ Manche Menschen leben ihr Leben wie im Transitbereich eines Flughafens. Sie sind gerade aus einem Flugzeug ausgestiegen und wandern in den Wartebereich, bis ihr Anschlussflug ausgerufen wird. Im Transitbereich gibt es bequeme Stühle, die Menschen lesen, hören Musik, kaufen etwas Nutzloses ein oder erledigen Emails. Manche sind hektisch, betriebsam und effektiv, andere überlassen sich dem Gang der Dinge. Vor allem aber: man wartet auf den nächsten Flug, unruhig und träge zugleich. Man wartet darauf, dass es endlich passiert. Es, das ist das Leben, das Glück, die Erfüllung.
In Wirklichkeit findet das Leben nicht im Transitbereich zwischen Vergangenheit und Zukunft statt, sondern in dem Raum, in dem wir jetzt leben. Das ist der einzige Raum, den wir je hatten und je haben werden. Dieser Raum ist bereits das Ziel, der Ort der ultimativen Ankunft. Wo sonst sollten wir ankommen, wenn nicht genau an diesen Ort zu dieser Zeit? Ankommen heißt: mir schwirrt nicht der Kopf von dem, was ich vor 5 Minuten, 3 Tagen oder 30 Jahren erlebt habe. Und es heißt: ich fühle mich nicht getrieben, „weiterzukommen“, mich „zu entwickeln“ und „was zu erreichen“. Ich bin einfach da, offen und verfügbar für das, was jetzt geschieht, innen wie außen. Ich lebe. Wahrscheinlich hast du diese Gegenwärtigkeit schon einmal erlebt, spontan und ohne Vorbereitung. Der Anblick einer Blume hat dir die Sprache verschlagen und für einen Moment stand das Leben still. Der Glanz eines Wassertropfens im Sonnenlicht oder der Wind in den Blättern hat dich einkehren lassen in diesen Raum der Gegenwart. Ein zeitloser Moment der Berührung, des Ausatmens, der Freude. Und dann zerbricht der Zauber so einfach, wie er gekommen ist und enttäuscht fühlst du dich zurückkatapultiert in den Strom der Zeitreisenden, die ihr Leben im Transitbereich führen. Dann beklagst du dich: zugegeben, das Glück in der Gegenwart gibt es, ja, aber es ist so flüchtig! Doch stimmt das wirklich? Vielleicht ist nicht die Gegenwart flüchtig, sondern wir. Vielleicht sind wir Zeitflüchtlinge, ruhelose Nomaden, die verlernt haben anzukommen. Wenden wir uns doch dieser verlernten Kunst zu, der Kunst, in der Gegenwart zu leben. Es ist dies jedoch nicht die Gegenwart als Transitbereich zwischen Vergangenheit und Zukunft, sondern ein Gegenwart jenseits der Zeit. In dieser zeitlosen Gegenwart sind Vergangenheit und Zukunft nicht völlig unbekannt, aber sie spielen eine untergeordnete Rolle. Sie sind als Denkoperationen in die Gegenwart integriert, denn manchmal ist es praktisch, sich zu erinnern, was gewesen ist, und sich vorstellen zu können, was passieren könnte. Abgesehen davon, ist die Gegenwart einfach ein zeitloser Raum des Seins, des echten Lebens. Hier und jetzt spielt die Musik. Oder sie spielt gar nicht. Selbstkontakt Die Weichenstellung für unser Wohlbefinden und unsere Fähigkeit zur Selbstregulation geschieht durch einen Prozess, den ich Selbstkontakt nenne. Unter Selbstkontakt verstehe ich die Fähigkeit, sich umfassend und differenziert wahrzunehmen - sowohl auf der körperlichen Ebene als auch im Geistigen und Seelischen - und aus dieser Wahrnehmung heraus zu erkennen, was im Moment das Beste für uns ist. Im Gegensatz zu Tieren, die instinktiv über einen optimalen Selbstkontakt verfügen, sind wir Menschen störbar und anfällig für Disharmonien unseres Selbstkontakts. Wir haben viele Redewendungen, die dies ausdrücken, z. B. „von der Rolle sein“, „neben sich stehen“, „außer sich sein“. Störungen des Selbstkontakts äußern sich vielfältig: undeutliche, verzerrte Körperwahrnehmung, verminderte emotionale Selbstwahrnehmung, eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstreflexion und Lösung innerer Konflikte. Generell macht uns ein gestörter Selbstkontakt anfälliger für Stress, Angst, Unsicherheit und emotionale Turbulenzen. Wenn der Selbstkontakt dauerhaft gestört ist, entsteht daraus das, was wir Selbstentfremdung nennen können. Im selbstentfremdeten Zustand können wir uns selbst nicht mehr gut spüren, uns fällt es schwer, uns zufrieden und klar zu fühlen, wir verlieren immer mehr den inneren Kompass für ein eigenständiges Leben und wir neigen dazu, schematisch einem zufällig in unserer Umgebung hochgehaltenen Lebensmuster zu folgen. Der erste Schritt zu einem authentischen und selbstbestimmten Leben im Hier und Jetzt besteht darin, den Selbstkontakt und damit auch unser Selbstvertrauen zu verbessern. Denn ohne vertrauenswürdigen Selbstkontakt werden immer dazu neigen, uns in Problemsituationen nicht an uns selbst, sondern an anderen oder vorgegebenen Bewältigungsstrategien zu orientieren. Sich spüren - hier und jetzt Es gilt, uns angesichts eines Problems nicht in die schwächenden Gefühle hineinziehen zu lassen, die immer mit gestörtem Selbstkontakt einhergehen: Selbstzweifel, Unsicherheit und Angst. Statt also zu versuchen, „das Problem“ sofort nach der üblichen (untauglichen) Methode anzugehen, nur um wieder ein weiteres Mal zu erleben, dass etwas mit uns nicht stimmt, können wir innehalten und Abstand nehmen von der direkten Problembewältigung. Wir können unseren Körper spüren, uns von ihm etwas getragen fühlen, innerlich zur Ruhe kommen und Fühlung aufnehmen mit unserer Fähigkeit, uns bewusst wahrzunehmen und zu erkennen, was hier und jetzt gerade geschieht. Es geht darum, körperlich, emotional und geistig gegenwärtig zu werden statt wie üblich der Stimme im Kopf zu vertrauen, die uns all die unlösbaren Komplikationen unseres Lebens vor Augen führt. Doch Präsenz zu entwickeln und zu praktizieren, kann mit einigen Herausforderungen einhergehen. Eine Schwierigkeit könnte darin liegen, dass es uns so fremd und seltsam vorkommt, uns überhaupt so viel Aufmerksamkeit zu schenken und nicht gleich mit der „Problemlösung“ loszulegen. Viele Menschen fühlen sich recht schnell verloren, wenn sie in ihren Körper hineinspüren, oder einem Strom von Gedanken ausgeliefert, die permanent Kommentare zum gerade Erfahrenen abgeben. Es mag auch sein, dass selbstabwertende Stimmen stärker werden uns dazu drängen, nicht so einen Blödsinn zu machen und uns doch bitte sehr nicht zu ernst zu nehmen. Bevor wir also in unsere Präsenz und damit in einen besseren Selbstkontakt kommen, müssen wir es über die Schwelle negativer Gefühle und Gedanken schaffen. Ich erkenne, was jetzt ist - und tue, was jetzt stimmt Gelingt es uns, über die verschiedenen Prozesse der Selbstsabotage hinauszugelangen, dann kommen wir in stilleres Gewässer. Hier erleben wir ganz unmittelbar, dass wir im Kontakt und Dialog mit uns selbst die anstehende Situation betrachten und Wege ihrer Erforschung und Bewältigung gehen können. Dies führt zu neuen Erfahrungen. Wir betreten Neuland. Wo die Stimme im Kopf noch drei Minuten vorher gewarnt hat, dass es zwecklos und gefährlich ist, sich anderen Menschen mitzuteilen, macht man die Erfahrung, dass es möglich ist, die eigenen Gedanken und Gefühle auszudrücken und Gehör zu finden. Wo die Überzeugung von den eigenen Defiziten zunächst wie ein tief verwurzelter Baum erschien, den man unmöglich ausreißen könne, wächst nur wenige Augenblicke später im Selbstgefühl ein Pflänzchen, das trotz seiner Unscheinbarkeit machtvoll dasteht. Es erweist sich also, dass bei aktiviertem Selbstkontakt alles bisher Erfahrene, Geglaubte und Erwartete nicht mehr gültig ist. Wenn ich meinen Körper aus der Anspannung des unbewussten Tuns herausführe und ihm einige Momente des Innehaltens und Wahrnehmens schenke, wenn ich meine Gedanken beobachte, ohne sie zu bekämpfen und mich im Kopf etwas leerlaufen lasse, wenn ich im Fühlen offen und neugierig werde - dann aktiviere ich meinen Selbstkontakt und neue Wege zeigen sich. Denn die Gegenwart ist immer offen. Wir meinen, das Leben zu kennen, wir meinen vor allem uns selbst und unsere Lebensmöglichkeiten zu kennen. Doch das ist ein Irrtum. Wir kennen uns sehr wenig und wir kennen das Leben sehr wenig. Wir haben gerade einmal einen kleinen Schluck aus einem Meer voller Möglichkeiten zu uns genommen. |
Guido Ingendaay
Ich schreibe zu persönlichen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Themen. Die gemeinsame Perspektive ist das authentische Leben, das die Möglichkeiten innerer Entfaltung, echter Begegnung und Gemeinschaftlichkeit erforscht. Mehr zu mir finden Sie hier.
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November 2024
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