Jetzt ist das Leben da draußen in das Leben hier drinnen eingebrochen und hat alles auf den Kopf gestellt. Gerade auch die Beziehungen unter den Menschen. Plötzlich gibt es jede Menge Beschlüsse von oben und somit das Gefühl, Empfänger (einsichtig oder widerwillig?) von Anordnungen und Vorschriften zu sein. Es gibt den Rückzug in die Privatsphäre, das Ausweichen auf dem Bürgersteig, das Vermeiden des Blickes in das schutzmaskenfremden Gesicht. Es gibt Denunziation und Zensur, Widerstand und Protest.
Im Wald sehe ich viel mehr Menschen als sonst, vor allem auch andere Menschen als sonst, nicht nur die Hundehalterinnen, sondern auch Menschen, die sonst im Büro wären. Im Vorbeijoggen schnappe ich Gesprächsfetzen über C. auf, Argumente und Gefühle, die - so mein Eindruck - nicht so ganz ihren wahren Adressaten erreichen. Daher auch mein Gefühl einer großen Ratlosigkeit und Ohnmacht. Manche tun trotzig so, als sei alles in Ordnung, als habe man es eben kaum anders machen können. Gespräche über C. sind inzwischen schwierig geworden. Es haben sich Lager gebildet. Das ist einerseits verständlich, weil der Mensch zunächst Gleichgesinnte sucht, doch andererseits auch heikel, weil Lagerbildung dazu führen kann, dass man nicht mehr miteinander redet, sondern nur noch übereinander. Was braucht es zu gelingenden Gesprächen? Die Beziehungsebene hat eindeutig Vorrang vor der Sachebene. Wenn die Beziehung zwischen Menschen gut sind, dann können sie auch die Sache angehen. Ein Mann und Frau, deren Beziehung gestört ist, können noch nicht einmal ein Regal zusammen aufbauen. Was sind solche „guten“ Beziehungen? Es sind Beziehungen, die nicht von Anmaßung und Unterwerfung, Dominanz und Anpassung, von Verstellung und Manipulation geprägt sind, sondern von Achtung und Gegenseitigkeit, von Selbstbestimmung und Solidarität, von Echtheit und Toleranz. Das gilt für meine „kleine“ private und berufliche Welt wie für die „große“ Welt von Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Doch Vorsicht! Gute Beziehung lässt sich nur bedingt durch gute Kommunikation verwirklichen. Gespräche gelingen nicht automatisch dadurch, dass die korrekte Kommunikation zum Einsatz kommt. Viel wichtiger ist die innere Haltung, die Wahrheit der inneren Absicht. Worte mögen geschickt oder ungeschickt gewählt, die Rede kann grob oder geschliffen sein - wer ist wirklich ernst meint mit der Begegnung, wird auch dann verstanden, wenn er sich etwas im Ton vergreift. Solche offenen, freien und echten Begegnungen wünsche ich mir. Und das Gute daran - dafür kann jeder und jede jederzeit etwas tun. Kommentare sind geschlossen.
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Guido Ingendaay
Ich schreibe zu persönlichen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Themen. Die gemeinsame Perspektive ist das authentische Leben, das die Möglichkeiten innerer Entfaltung, echter Begegnung und Gemeinschaftlichkeit erforscht. Mehr zu mir finden Sie hier.
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Juli 2024
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